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Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland

Rede Anläßlich des Festakts zum 50. Jahrestag der SPD, Berlin

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Published under: Brundtland's 3rd Government

Publisher: The Office of the Prime Minister

Berlin, 7. Oktober 1995


Prime Minister Gro Harlem Brundtland

Rede Anläßlich des Festakts zum 50. Jahrestag der SPD.

Berlin, 7. Oktober 1995

Herr Bundespräsident,Parteifreunde,meine Damen und Herren,

im Namen ausländischer Parteifreunde möchte ich der SPD die herzlichsten Glückwünsche zu den 50 Jahren ihres Nachkriegswirkens aussprechen.

Mehr als andere politische Bewegungen hat die deutsche Sozialdemokratie zu Frieden und Demokratie in Europa beigetragen.

Hier soll anderen Deutschen Parteien nicht die ihnen gebührende Ehre abgesprochen werden. Doch es besteht kein Zweifel: hätte es keine politische Bewegung gegeben, die es vermochte, die sozialistischen und sozialdemokratischen Kräfte unter einem grundlegend demokratischen Dach zu vereinen – hätte die SPD in den schwierigen Nachkriegsjahren nicht einen klaren Standpunkt gegen die totalitären Kräfte bezogen, – hätte die SPD nicht mit aller Kraft die soziale Gerechtigkeit an die erste Stelle gesetzt, – dann wäre die Geschichte Deutschlands - möglicherweise - anders verlaufen.

Und hätte die SPD nicht alles darangesetzt, zuallererst Deutschlands Verankerung im demokratischen Westen, in Europa und im atlantischen Bündnis zu sichern, hätte sich vielleicht auch Europa ganz anders entwickelt, und es ist nicht sicher, daß wir diesen Tag in einem wiedervereinigten Land und in einer ungeteilten Stadt hätten feiern können.

Daher wollen wir uns heute an die Standhaftigkeit von Kurt Schuhmacher erinnern. Vor 50 Jahren entwarf er, in seinem Arbeitszimmer in Hannover, die Konturen der neuen Partei – als er sich mit Bestimmtheit den Vorstößen aus dem Osten widersetzte, den Vorstößen von denen, die dieser von der Tyrannei gezeichnete Mann die "rotlackierten Faschisten" nannte.

Seine Freimütigkeit ging sogar den westlichen Besatzungsmächten etwa zu weit, aber uns war er recht , als er 1945 erklärte: "Der Krieg ist für die Demokratie geführt worden, nicht für die totalitären Ansprüche einer Seite."

Es waren Menschen wie Kurt Schuhmacher, die den Sozialdemokraten in anderen Ländern das Vertrauen gaben, daß sich aus Trümmern und Asche ein neues Deutschland erhob. Seine Nachfolger hatten zwar mehr Auslandserfahrung, aber mit voller Kraft wollte er seine Partei in der Bewegung der demokratischen Arbeiterparteien verankern. Groß war seine Enttäuschung, als der SPD 1947 die Teilnahme an der Konferenz der europäischen Sozialdemokraten versagt wurde. Und hier muß ich hinzufügen: gegen die Stimme der norwegischen Arbeiterpartei, die als allererste forderte, der SPD müßte unbedingt in der sozialdemokratischen Familie ihren Platz einnehmen.

Das Godesberger Programm war vielleicht das wichtigste Beitrag zur Entwicklung der deutschen und der europäischen Sozialdemokratie. Und viele meinen, es war der Einfluß aus Skandinavien auf das neue Programm, daß der SPD den Weg zur späteren Übernahme der Regierungsverantwortung bahnte.

Doch der Weg ins Regierungsviertel läßt sich weder beschreiben noch erklären, ohne die Namen zwei junger Männern besonders zu nennen, die bei der Gestaltung der Deutschen und der Europäischen Politik ein entscheidendes Wort mitreden sollten: Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Der ältere dieser beiden jungen hatte seine politische Grundüberzeugung in den Jahren des Exils in Norwegen und Schweden entwickelt.

Vorausschauend waren seine Visionen in bezug auf die Zukunft Europas – er sah ein vereintes demokratisches Europa vor sich, und diese Visionen arbeitete er in der "Kleinen Internationalen" heraus, die sich während des Krieges in Stockholm traf, unter der Leitung von Martin Tranmæl, - ein Felsen der norwegischen Arbeiterpartei.

Meine ersten eigenen Erinnerungen an Willy Brandt stammen aus der Zeit als Flüchtlingskind in Stockholm, wo ich ihn im Gespräch mit meinem Vater und meiner Familie erlebte. Eine unserer letzten Begegnungen fand ebenfalls in Stockholm statt. Willy war an dem Abend strahlender Laune, weil er soeben erfahren hatte, daß Rudolf Scharping bei der Wahl in Rheinland-Pfalz ein hervorragendes Ergebnis erzielt hatte.

Dazwischen liegen Jahrzehnte enger Freundschaft und Zusammenarbeit. Unter der Leitung von Willy Brandt und der SPD wurde die Sozialistische Internationale zu einem Treffpunkt konstruktiver Kräfte. Die Nord-Süd-Kommission unter seinem Vorsitz war ein direkter Vorläufer der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, deren Leitung mir aufgetragen wurde. Und Willy Brandt stand auch Pate bei der Gründung der von Ingvar Carlsson geführten Kommission für "global governance".

Dagegen ist vielleicht weniger bekannt, daß auch das Osloer Abkommen - zwischen der PLO und Israel - auf die Kontakte zurückgeführt werden kann, die im Rahmen der von Willy Brandt geformten Sozialistischen Internationale geknüpft wurden – Kontakte zwischen israelischen und norwegischen Sozialdemokraten, - Kontakte zwischen der PLO und norwegischen Sozialdemokraten.

Was hingegen bekannt ist und was auf immer in den Annalen der Geschichte stehen wird, ist die Deutschland- und Ostpolitik von Willy Brandt und der SPD. Hierfür mußten die Sozialdemokraten hart kämpfen. Doch heute ist diese Politik nicht mehr umstritten. Dies sind Verdienste, die Willy Brandt zurückbrachten nach Norwegen, in die Aula der Osloer Universität, wo er 1971 den Friedensnobelpreis in Empfang nehmen konnte.

1981 wurde ich als neuernannte, junge norwegische Ministerpräsidentin zu einer persönlichen Wochenendbegegnung mit Helmut Schmidt, dem damaligen deutschen Bundeskanzler, eingeladen. Helmut Schmidt wollte nämlich jedes Jahr politische Gespräche mit den Regierungschefs aller deutschen Nachbarstaaten führen. Helmut Schmidt hat damals Norwegen in diesen Kreis mit einbezogen, was für uns sehr wichtig war. Dafür möchte ich an Dieser stelle Danken.

Europa wird Helmut Schmidt dafür danken das er das Ruder fest in der Hand hielten in einer Zeit, als eine bewußte Führung erforderlich war.

Sehen wir uns heute das Programm der SPD an, erkennen wir eine Linie, eine Haltung und grundlegende Werte, die heute und auch morgen Gültigkeit haben: Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dies war und bleibt die erste und wichtigste Aufgabe. Eine verantwortliche Ressourcen- und Rohstoffpolitik, sozialer Lastenausgleich, Wohnungsbau, Sozialversicherung, Mitbestimmung – all dies war und ist wichtig, um die soziale Zusammengehörigkeit aufzubauen und zu erhalten und um eine Brücke zu schlagen über die Kluft zwischen Arbeitern und dem Bürgertum für eine zukunftsorientierte Gesellschaft.

Deutschland und Europa brauchen eine starke SPD, die an den Grundsätzen Freiheit, Gleichheit und Solidarität festhält.


Lagt inn 18 oktober 1995 av Statens forvaltningstjeneste, ODIN-redaksjonen